FAZ Essay (Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ)
Bibel, Axt und Zeitungen
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Um Ausgewogenheit zu dokumentieren, müssen sie auf Desinformationskampagnen reagieren. Wer profitiert?
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Von Professor Dr. Jan-Werner Müller
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Sollte der amerikanische Medienkritiker Jay Rosen richtigliegen, wird in diesem Jahr eine der größten Propagandaschlachten in der amerikanischen Geschichte ausgefochten. Doch anders, als man meinen könnte, bezieht er sich nicht auf den jetzt schon mit allen schmutzigen Tricks geführten Präsidentschaftswahlkampf. Rosen hat die Manöver im Blick, die das Weiße Haus unternimmt, um von den eklatanten Fehlern und Versäumnissen der Trump-Regierung in der Corona-Krise abzulenken.
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Ein Präsident, der in seiner bisherigen Amtszeit mehr als 18 000 Mal schlicht gelogen oder zumindest irreführende Aussagen gemacht hat, ist nachgerade dazu verurteilt, seine Politik zur Eindämmung der Corona-Pandemie als "great" erscheinen zu lassen. Medien, die nicht dieser Meinung sind, müssen bei ihrer Berichterstattung gegen den von Trump immer aufs Neue geschürten Verdacht ankämpfen, Journalisten seien parteiisch. Wie so viele Rechtspopulisten beschwört Trump zwar immer die Einheit des Volkes, de facto ist jedoch die Spaltung der Gesellschaft sein politisches Geschäftsmodell. Dabei kommt ihm seine im Vergleich zu anderen Populisten überdurchschnittlich große Skrupellosigkeit zugute, durch Verbreitung "alternativer Fakten" die Grenzen zwischen wahr und falsch gezielt zu verwischen und ein Klima allgemeiner Verwirrung zu erzeugen.
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Die Trump-Präsidentschaft hat die Qualitätsmedien vom ersten Tag an vor ganz neue Probleme gestellt. Bis zum Jahr 2016 galt die Regel, gute Berichterstattung in einem Zwei-Parteien-System bestehe darin, Bürgern Ansichten beider Seiten in einer überprüfbaren Ausgewogenheit zu präsentieren. Nur, so moniert auch Rosen, funktioniert diese Logik unter den Bedingungen asymmetrischer Polarisierung nicht mehr. Zum einen haben sich die Demokraten seit den frühen neunziger Jahren kaum bewegt, zum anderen stehen die Republikaner heute sehr viel weiter rechts als zu Zeiten etwa von Ronald Reagan. Dieser bekannte sich im Gegensatz zu Trump umstandslos zu den Vereinigten Staaten als Einwanderungsland. Zudem haben sich die Republikaner als die Partei positioniert, die den Leugnern des Klimawandels eine politische Heimat gibt. Und nach wie vor folgen die meisten Republikaner Trump trotz aller Lügen und Fehltritte auf Gedeih und Verderb.
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Viele Medien stellt das vor ein Dilemma. Beide Seiten zu Wort kommen zu lassen funktioniert in einer demokratischen politischen Kultur, in der alle annehmen, dass die andere Seite unter Umständen auch recht haben könnte - ohne diese Annahme würden Wahlverlierer nie ihre Rolle als loyale Opposition akzeptieren. Was aber, wenn die eine Seite nachweislich lügt? Wer darauf hinweist, gilt als parteilich oder laut Trump gleich als "Feind des Volkes"; wer nichts richtigstellt, muss wohl als Lügen-Multiplikator gelten.
Die amerikanischen Qualitäts-Medien stehen angesichts der Corona-Pandemie vor einem Dilemma: Auf besonders eklatante Weise ist dieses Dilemma in der Corona-Krise sichtbar geworden. Trump kann derzeit nicht die Massenversammlungen abhalten, auf denen er stundenlang Monologe hält und sich von seinen Anhängern aufputschen lässt. Stephanie Grisham, die vor kurzem als Pressesprecherin Trumps ihren Hut nehmen musste, hatte in ihrer Amtszeit von Juli 2019 bis April dieses Jahres keine einzige Pressekonferenz abgehalten - was die Frage aufwarf, warum Steuerzahler für eine Pressesprecherin aufkommen sollen, die nicht mit der Presse spricht. Statt Pressekonferenzen gibt es seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie fast täglich Live-Briefings aus dem Weißen Haus wie jenes, bei dem Trump darüber philosophierte, ob Personen womöglich zu chlorhaltige Bleichmitteln greifen sollten, um eine Infektion mit dem Corona-Virus zu bekämpfen.
Ersonnen wurde dieses Format als Ersatz für seine Wahlkampfveranstaltungen. Zudem setzten Trumps Berater darauf, dass er in den bis zu zwei Stunden dauernden Frage-und-Antwort-Runden seine Erfahrungen als Reality-TV-Entertainer ausspielen und sich unter anderem ausgiebig über Journalisten mokieren könne. Jeder Zuschauer weiß: Irgendwas wird immer los sein. Auch deswegen sind die Einschaltquoten so hoch wie zuletzt bei den Debatten während der Vorwahlen der Republikaner 2016, welche Fernsehen und Rundfunk enorme Profite bescherten. Trump hat es sich denn auch nicht nehmen lassen, selbst per Tweet darauf hinzuweisen, dass seine Briefings derzeit mehr Zuschauer haben als die beliebtesten Reality-TV-Shows.
Ersonnen wurde dieses Format als Ersatz für seine Wahlkampfveranstaltungen. Zudem setzten Trumps Berater darauf, dass er in den bis zu zwei Stunden dauernden Frage-und-Antwort-Runden seine Erfahrungen als Reality-TV-Entertainer ausspielen und sich unter anderem ausgiebig über Journalisten mokieren könne. Jeder Zuschauer weiß: Gleichzeitig ist vielen Bürgern klar, dass Trump bei diesen Live-Performances irreführende Aussagen macht. Fachleute seiner Regierung korrigieren diese zumeist umgehend, aber so behutsam wie möglich, weil sie dem narzisstischen Präsidenten keinen Anlass zu Zornesausbrüchen geben wollen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bestünde darin, die Veranstaltungen zeitversetzt auszustrahlen und sofort von Redakteuren mit umfassendem Fachwissen kommentieren zu lassen oder gleich einen zweigeteilten Bildschirm zu zeigen, in dem das oft völlig zusammenhanglose Daherreden Trumps notfalls konterkariert würde. Allerdings würde beides die Trump-Anhänger in ihrem Glauben bestärken, die "Fake Media" betrieben Zensur.
Ersonnen wurde dieses Format als Ersatz für seine Wahlkampfveranstaltungen. Zudem setzten Trumps Berater darauf, dass er in den bis zu zwei Stunden dauernden Frage-und-Antwort-Runden seine Erfahrungen als Reality-TV-Entertainer ausspielen und sich unter anderem ausgiebig über Journalisten mokieren könne. Jeder Zuschauer weiß: Entschieden werde die Corona-Propagandaschlacht, so eine landläufige Annahme, wohl im Internet, insbesondere in den sozialen Medien. Trumps Wahlkampfmanager, der 2016 für den Online-Auftritt verantwortlich war und konsequent auf Werbung bei Facebook gesetzt hatte, wird bereits ehrfürchtig als eine Art Magier dargestellt, der über schwärzeste Tech-Manipulationskünste verfügt. Kein Wunder, dass Beobachter wie der Historiker Timothy Snyder inzwischen die Sorge umtreibt, Facebook führe vielleicht zum Faschismus. Doch ist die Technologie wirklich das Schicksal? Ein genauerer Blick auf die Medienlandschaft in den Vereinigten Staaten zeigt, dass die Dinge nicht ganz so einfach liegen.
Die Vereinigten Staaten gelten gemeinhin als Paradebeispiel für eine gnadenlos durchkommerzialisierte Öffentlichkeit. Dieser Eindruck ist nicht falsch: Pro Bürger und Jahr gibt die Regierung in Washington einen Dollar und vierzig Cent für die Finanzierung von Medien auf. In den meisten anderen westlichen Demokratien liegt der Betrag zwischen umgerechnet 50 und 150 Dollar. Doch dieses scheinbar unbegrenzte Vertrauen in den Markt war der Republik nicht in die Wiege gelegt. Auch in Europa weiß man, dass der erste Zusatzartikel der Verfassung nicht nur die Redefreiheit, sondern auch ausdrücklich die Pressefreiheit schützt - damit ist die Presse der einzige amerikanische Wirtschaftszweig, der ein verfassungsrechtliches Privileg genießt. Thomas Jefferson und James Madison waren sich einig, dass eine Republik nicht ohne florierendes Zeitungswesen überdauern konnte. Jefferson schrieb, politische Informationen müssten der ganzen Masse des Volkes zugänglich sein, denn die Volksmeinung sei die Grundlage des Gemeinwesens. Madison meinte gar, eine Regierung für das Volk ohne Informationen für das Volk sei das Vorspiel zu einer Farce oder einer Tragödie oder möglicherweise beides - Trump hat bereits bewiesen, dass es in der Tat beides gleichzeitig sein kann.
Die Gründerväter hielten nicht nur wohlfeile Reden, sie steckten enorme finanzielle Ressourcen in die Entwicklung des Pressewesens: Die Post wurde verstaatlicht, der Vertrieb von Zeitungen wurde mit auf heutige Zahlen umgerechnet Milliardenbeträgen subventioniert. Die vermeintlich so staatsfeindlichen Amerikaner - von denen im achtzehnten Jahrhundert bereits außergewöhnlich viele lesen konnten - schufen so einen breiten Medienmarkt, und das zu einem Zeitpunkt, als viele europäische Staaten noch hohe Steuern auf Zeitungen erhoben. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts waren 70 Prozent der Sendungen, die die Post beförderte, Zeitungen; in den dreißiger Jahren des darauffolgenden Jahrhunderts waren es sogar 95 Prozent.
Die Gründerväter hielten nicht nur wohlfeile Reden, sie steckten enorme finanzielle Ressourcen in die Entwicklung des Pressewesens: Alexis de Tocqueville, der scharfsichtige französische Aristokrat, bereiste im frühen 19. Jahrhundert die Vereinigten Staaten - teils mit der Postkutsche. Er notierte mit Erstaunen, wie viele Zeitungen in Kentucky - für ihn eine "Wildnis" - im Umlauf waren. Vermeintliche Hinterwäldler, so der Franzose, redeten wie Städter, seien gut über Geschichte informiert, neugierig auf die Zukunft und vor allem bestens in der Lage, über die Gegenwart zu diskutieren. Der Amerikaner, so Tocqueville, stürze sich in die Wildnis - aber nur mit Bibel, Axt und Zeitungen.
Die Gründerväter hielten nicht nur wohlfeile Reden, sie steckten enorme finanzielle Ressourcen in die Entwicklung des Pressewesens: Tocqueville kommentierte auch die eigentümliche Verbindung, die Medien und Politik in den Vereinigten Staaten eingegangen waren. In dem weiten Land würden sich politische Gruppierungen zuallererst über Zeitungen zusammenfinden - und diese würden dann wiederum ihre Leserschaft mit einer an konkreten gesellschaftlichen Interessen orientierten Parteilinie zusammenhalten. In Tocquevilles Tagen gehörten bis zu 80 Prozent der Zeitungen zu einer politischen Partei - was aber auch hieß, dass diese sogenannten "partisan papers" oft schamlos einseitig berichteten.
Die enge Verbindung zwischen Parteien und Presse löste sich erst mittels des Profits, der sich mit Werbung erzielen ließ: Dank der Annoncen wurden Zeitungsunternehmen von politischen Akteuren unabhängig. Das steigerte den Anreiz für möglichst erschwingliche Blätter, die sogenannte "penny press", möglichst hohe Auflagen zu erzielen. Der berühmte Verleger Joseph Pulitzer meinte, er wolle die Nation ansprechen, nicht einen Parlamentsausschuss. Dies wiederum gelang einer oft mit Fake News gespickten Boulevardpresse am besten, was am Ende des 19. Jahrhunderts eine Reformbewegung auf den Plan rief.
Die enge Verbindung zwischen Parteien und Presse löste sich erst mittels des Profits, der sich mit Werbung erzielen ließ: Die sogenannten "Progressives" wollten vor allem dem mit Korruption einhergehenden Postengeschacher durch die Einführung eines Berufsbeamtentums ein Ende setzen; ein weiteres Anliegen war es, dass sich Journalisten als anerkannte "professionals" hehren Berufsstandards verpflichteten. 1908 wurde an der University of Missouri die erste Journalistenschule gegründet.
Die enge Verbindung zwischen Parteien und Presse löste sich erst mittels des Profits, der sich mit Werbung erzielen ließ: Nicht zuletzt die Erfahrung mit der Kriegspropaganda unter Präsident Woodrow Wilson bestärkte die Reformer in dem Glauben, Journalisten müssten einem Ideal von Objektivität jenseits von Markt- und Staatsmacht folgen - eine Vorstellung, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Selbstverpflichtung der Zeitungen auf das Prinzip der "sozialen Verantwortung" noch einmal verstärkt wurde.
Ähnlich hehre Ziele hatte man für Radio und Fernsehen. Zwar blieb das Telegraphenwesen stets in der Hand privater Unternehmen, auch kam es nie zur Gründung einer der BBC vergleichbaren öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Aber Sendelizenzen wurden nur an Unternehmen vergeben, die sich verpflichteten, einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Konkret hieß dies, dass in Radio und Fernsehen "kontroverse Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse" zur Sprache gebracht werden mussten. Und das auf dezidiert faire Weise: Die 1949 kodifizierte "Fairness-Doktrin" hielt die Sender an, gegensätzlichen Standpunkten gleichermaßen Gehör zu verschaffen.
Freilich war die von Gesetzes wegen suggerierte Vorstellung einer argumentationsfreudigen Demokratie das eine; die Realität der Massenmedien war eine andere. Viele Zeitungen beschränkten sich auf reine Informationsvermittlung, was oftmals hieß: Beschreibung dessen, was politische Eliten taten und ließen - und darüber hinaus: "No comment." Ein Journalist charakterisierte im Rückblick reumütig seine Berichterstattung über die antikommunistische Hexenjagd Joseph McCarthys: "Mein Eindruck war, dass es sich bei Joe um einen Demagogen handelte. Aber was konnte ich machen? Ich musste über McCarthy berichten und ihn zitieren. Die Presse soll ja neutral sein. Man schreibt, was der Mann sagt."
Auch die drei großen Fernsehsender ABC, NBC und CBS hielten sich politisch sehr zurück. Ihr wirtschaftlicher Anreiz bestand darin, möglichst große Reichweiten zu erzielen - was ihnen mit dem gelang, was ein Manager des Senders NBC einmal als "least objectionable program" bezeichnen sollte, also ein Programm auf kleinstem gemeinsamen Nenner. Minderheiten tauchten im Abendprogramm so gut wie gar nicht auf - aber auch kaum Arbeiter: Nur rund ein Zehntel aller Sitcoms spielte in diesem Milieu.
Trotz der betont neutralen Berichterstattung häuften sich seit den fünfziger Jahren die Klagen von Konservativen, die Medien würden von Linksliberalen dominiert. Auch an der Fairness-Doktrin stießen sie sich: Der Zwang zur Ausgewogenheit werde ohnehin nicht befolgt, Standpunkte rechts der politischen Mitte kämen immer zu kurz. Die Gegner des Status quo erreichten ihr Ziel 1987: Unter Präsident Ronald Reagan wurde die Fairness-Doktrin abgeschafft. Der von dem ehemaligen Schauspieler ernannte Rundfunkbeauftragte ließ verlauten, TV sei nichts weiter als ein Toaster mit Bildern - also ein Haushaltsgerät wie jedes andere, das mit Politik nicht automatisch etwas zu tun habe.
Trotz der betont neutralen Berichterstattung häuften sich seit den fünfziger Jahren die Klagen von Konservativen, die Medien würden von Linksliberalen dominiert. Auch an der Fairness-Doktrin stießen sie sich: Die staatlichen Auflagen für Rundfunk- und Fernsehsender waren ohnehin nur wegen der Frequenzknappheit mit dem ersten Zusatzartikel zur Verfassung kompatibel gewesen. In den achtziger Jahren entgrenzte sich der Medienmarkt jedoch durch Satellit und Kabel. CNN machte 1980 den Anfang; 1996 starteten die Sender Fox News und MSNBC, welches sich seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts als linkes Gegengewicht zu Fox positioniert. 1996 wurde zudem der Radiomarkt dereguliert; viele Lokalsender, denen vorher eine wichtige öffentliche Funktion zukam, wurden von großen Unternehmen geschluckt.
Schon einige Jahre vorher hatte sich das rechtslastige Talk Radio etabliert: Rush Limbaughs Tiraden gegen das Establishment in Washington waren ab 1988 landesweit zu hören. 1993 bezeichnete die einflussreiche konservative Zeitschrift "National Review" Limbaugh gar als den eigentlichen "Oppositionsführer" im Lande. Als die Republikaner 1994 zum ersten Mal seit Anfang der fünfziger Jahre die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellten, ernannten sie Limbaugh zum "Ehrenmitglied" des Kongresses. Limbaugh, dessen Markenzeichen ein goldenes Mikrofon ist, erreicht bis zu 20 Millionen Zuhörer in der Woche, seine Sendung ist bis heute hochprofitabel. Trump verlieh ihm Anfang dieses Jahres gar die Freiheitsmedaille des Präsidenten - die höchste zivile Auszeichnung in den Vereinigten Staaten. Wenige Wochen später verkündete Limbaugh, der sich als "Doktor der Demokratie" vermarktet, das Coronavirus sei nicht gefährlicher als eine Erkältung. Bis heute spielt er den Ernst der Lage herunter.
Die Aktivität des Senders Fox News, der sich in der Rolle des Anwalts der unterrepräsentierten Arbeiterklasse gefällt, hat nachweislich politische Effekte: Laut einer Studie hat das zum Murdoch-Medienimperium gehörende Unternehmen den Stimmenanteil der Republikaner in manchen Landesteilen um bis zu 0,7 Prozent erhöht. Das mag nicht nach viel klingen. Aber in Florida beispielsweise bedeutete dies etwa 10 000 Stimmen zusätzlich - und man erinnere sich, dass George W. Bush nur deswegen Anfang 2001 ins Weiße Haus einziehen konnte, weil er die Wahl in Florida mit weniger als 500 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte.
Die Aktivität des Senders Fox News, der sich in der Rolle des Anwalts der unterrepräsentierten Arbeiterklasse gefällt, hat nachweislich politische Effekte: Laut einer lehrreichen Studie von Yochai Benkler, Robert Faris und Hal Roberts von der Harvard University hat sich seit den neunziger Jahren in den Vereinigten Staaten eine in sich geschlossene, rechte "Medien-Ökosphäre" herausgebildet. Zu deren Entstehung hätten Talk Radio und Fox News entscheidend beigetragen. Ungefähr ein Drittel der Amerikaner lebten, was die Nachrichtenlage angeht, in einer Parallelgesellschaft. Denn sie kämen, so Benkler und seine Kollegen, nie mit Medien in Kontakt, die man als mitte-rechts bezeichnen könnte - wie beispielsweise das "Wall Street Journal".
Hier zeichne sich, so die Forscher, eine eklatante Asymmetrie ab: Die Medienkonsumenten auf der Linken seien zwar auch ab und an in Versuchung, Verschwörungstheorien für bare Münze zu nehmen. Aber ihre Informationsquellen seien um einiges vielfältiger. Sie würden oft genug CNN einschalten oder die "New York Times" beziehungsweise die "Washington Post" lesen - mit der Folge, dass Fehlinformationen korrigiert würden. Dem von der Ausrichtung her eher linken Sender MSNBC vertrauen kaum mehr als die Hälfte derjenigen Bürger, die sich selbst als dezidiert linksliberal bezeichnen. Unter sich selbst als konservativ bezeichnenden Amerikanern vertrauen jedoch ganze 88 Prozent Fox News. Für 40 Prozent der Trump-Wähler wiederum ist Fox die wichtigste Nachrichtenquelle - wobei "Nachrichten" ein relativer Begriff ist, weil laut der Harvard-Wissenschaftler diese hier hauptsächlich der Bestätigung der eigenen politischen Einstellung dienen.
Benkler und Kollegen haben den Wahlkampf 2016 so sorgfältig analysiert wie sonst niemand. Ihre Schlussfolgerung: Facebook und die Manipulationen von russischer Seite haben eine wichtige Rolle gespielt. Aber wahlentscheidend waren sie nicht. Fake News, die Hillary Clinton diskreditieren sollten, trafen auf ein Publikum, das seit Jahren von Limbaugh und seinen Gesinnungsgenossen gegen die Demokraten aufgehetzt worden war. Hinzu kam allerdings, dass die extrem xenophobe Website Breitbart News für kurze Zeit im Internet zum dominanten Medium für ein rechts eingestelltes Publikum werden konnte - nicht zuletzt, weil der Kandidat Trump einen Konflikt mit Fox provoziert hatte (welcher, wie üblich bei dem Reality-TV-Star, hohen Unterhaltungswert aufwies).
Benkler und Kollegen haben den Wahlkampf 2016 so sorgfältig analysiert wie sonst niemand. Ihre Schlussfolgerung: Im Frühjahr 2016 entschied sich der Murdoch-Sender dann jedoch, Trump bedingungslos zu unterstützen - was wiederum den Effekt hatte, dass Breitbart, anders als erwartet, während der Trump-Präsidentschaft eine marginale Rolle spielt.
Benkler und Kollegen haben den Wahlkampf 2016 so sorgfältig analysiert wie sonst niemand. Ihre Schlussfolgerung: Breitbart war eine Art Brücke zwischen Internetseiten, auf denen munter Verschwörungstheorien ausgebreitet wurden, und Fox. So kam es, dass eine völlig irrwitzige Story, wonach Hillary Clintons Wahlkampfteam einen geheimen Pädophilenring in einer Pizzeria in Washington betrieb, ihren Weg von den Rändern rechtsextremer Fabulierer zu den Star-Moderatoren bei Fox fand - wobei bei einem entsprechend eingestimmten Publikum die Assoziation von den Clintons mit Pädophilie daher rührte, dass Bill Clinton mit dem Privatjet des in der Tat pädophilen Mäzens Jeffrey Epstein gereist war. Am Ende gaben laut einer Umfrage rund die Hälfte aller Trump-Wähler zu Protokoll, an "Pizzagate" sei sicher doch irgendwas dran.
Den Ausschlag zugunsten von Donald Trump gaben im November 2016 jedoch nicht die Bürger, die Hillary ohnehin verachteten oder auch hassten - nur mit den Wählern aus den rechten Parallelgesellschaften lässt sich an den Urnen nicht siegen. Viel effektiver waren die Versuche, respektable Medien davon zu überzeugen, Hillary Clinton sei korrupt. Ein von Breitbart-Chef Stephen Bannon finanziertes Enthüllungsbuch brachte die "New York Times" und andere Medien auf die entsprechende Fährte. Die Suche führte am Ende zwar nicht zu Material, das Clinton belastet hätte - aber der Schaden für die Kandidatin war trotzdem angerichtet: jede Menge Artikel mit dem Thema Korruption, durch die angesehene Medien, welche im Verdacht standen, nicht ganz objektiv zu sein, sondern pro Clinton, immer wieder die Ausgewogenheit ihrer Berichterstattung beweisen konnten. Hetze und Hassrede sind wichtig; wahlentscheidend aber ist halbwahres Gerede.
Es ist denn auch bezeichnend, dass die Themen, welche in der Berichterstattung am häufigsten mit Clinton assoziiert wurden, rein negativ ausfielen: die Benutzung ihres privaten E-Mail-Servers während ihrer Zeit als Außenministerin, der Angriff auf das amerikanische Konsulat in Benghasi und die vermeintlichen Unregelmäßigkeiten in der Clinton-Stiftung. Von ihren politischen Zielen war so gut wie nie die Rede. Anders bei Trump: Das Thema, das am häufigsten im Zusammenhang mit dem prominenten Polit-Amateur erwähnt wurde, war Einwanderung - genau jene Frage, die Trump auf die Agenda setzen wollte und die, so haben sozialwissenschaftliche Studien gezeigt, auch den Ausschlag gab für einige Obama-Wähler, 2016 zu den Republikanern zu wechseln.
Es ist denn auch bezeichnend, dass die Themen, welche in der Berichterstattung am häufigsten mit Clinton assoziiert wurden, rein negativ ausfielen: Ohne Zweifel setzte Trump auch stärker als Clinton auf Werbung bei Facebook - nicht zuletzt mit "dark posts", welche auf bestimmte Bürger zugeschnitten waren und welche niemand anders sehen konnte - mit der Folge, dass die gegnerische Seite keine Chance hatte, auf falsche Darstellungen zu reagieren. Und doch ist es irreführend, den Sieg von Donald Trump als den unvermeidbaren Triumph einer nicht zu kontrollierenden Technologie darzustellen.
Nur ein geringer Teil der Amerikaner bezieht politische Informationen primär aus dem Internet; das Medium, welches noch immer die meisten Amerikaner erreicht, ist das Radio. Außerdem war Trump während der Vorwahlen 2015/16 ständig in allen Fernsehkanälen zu sehen - eine Art von kostenloser Werbung, welche ansonsten buchstäblich Milliarden gekostet hätte. Wie der Vorstandsvorsitzende des Senders CBS seinerzeit freimütig zugab: "Trump mag nicht gut für Amerika sein, aber er ist verdammt gut für CBS."
Nur ein geringer Teil der Amerikaner bezieht politische Informationen primär aus dem Internet; das Medium, welches noch immer die meisten Amerikaner erreicht, ist das Radio. Außerdem war Trump während der Vorwahlen 2015/16 ständig in allen Fernsehkanälen zu sehen - eine Art von kostenloser Werbung, welche ansonsten buchstäblich Milliarden gekostet hätte. Wie der Vorstandsvorsitzende des Senders CBS seinerzeit freimütig zugab: Benkler, Faris und Roberts haben überzeugend dargelegt, dass die Online-Architektur der politischen Öffentlichkeit noch immer größtenteils die bereits existierende Offline-Architektur widerspiegelt. Und nicht jedes Land hat eine in sich geschlossene rechte Medien-Ökosphäre. Auch in den Vereinigten Staaten ist diese nicht schlicht getreuer Ausdruck einer aus europäischer Sicht befremdlichen politischen Kultur. Sie ist Ergebnis politischer Entscheidungen wie der Deregulierung und dem Ende der Fairness-Doktrin.
Technologie ist nicht Schicksal. Oder, wie die Harvard-Wissenschaftler betonen: Keine Technologie bestimmt die Bedingungen ihrer eigenen Anwendung. Damit soll nicht gesagt sein, das Geschehen rund um die sozialen Medien sei nicht so ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Weil jede (De-)Regulierung langfristige Folgen hat, verdient auch die Rolle von Apple, Google, Facebook und Co. maximale politische Aufmerksamkeit.
Technologie ist nicht Schicksal. Oder, wie die Harvard-Wissenschaftler betonen: Viele Rechtspopulisten machen bisher keine besonders gute Figur in der Corona-Krise. Aber sie sind immer noch Experten, wenn es darum geht, vermeintliche "Mainstream"-Medien unter Druck zu setzen, so dass Letztere glauben, immer wieder die Ausgewogenheit ihrer Berichterstattung beweisen zu müssen. Journalisten dürfen durchaus auch Aktivisten sein - solange das ihrem Publikum klar zu Bewusstsein gebracht wird. Farce und Tragödie der amerikanischen Öffentlichkeit bestehen heute darin, dass bis zu einem Drittel des Publikums offenbar gar nicht klar ist, dass sie keine "Nachrichten" sehen, sondern das, was Benkler und Kollegen zu Recht einen "Propaganda-Feedback-Loop" nennen.
Technologie ist nicht Schicksal. Oder, wie die Harvard-Wissenschaftler betonen: Der Verfasser lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Princeton University, New Jersey, Vereinigte Staaten.