FAZ Essay (Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ)
Heiliger Geist und Zeitgeist
Die erstmalige Ordination von Frauen zum evangelischen Pfarramt während des Zweiten Weltkriegs verdankte sich einer glücklichen Allianz von zeitlosen Wahrheiten und Gegenwartsbezügen. Dasselbe Muster lässt sich in der Verdrängung von Frauen aus kirchlichen Ämtern in der Spätantike beobachten - nur gingen Heiliger Geist und Zeitgeist damals eine durchaus unheilige Allianz ein.
Von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies
Vor vielen Jahren begegnete ich in der Sankt-Petri-Kirche am Newski-Prospekt in Sankt Petersburg dem damaligen Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, dem inzwischen verstorbenen Georg Kretschmar. Das Gebäude hatte zu Sowjetzeiten als Schwimmbad gedient und war erst kurz zuvor wieder in gemeindlichen Gebrauch genommen worden. Das Gespräch fand in Räumen statt, die noch als vormalige Sauna erkennbar waren.
Wir sprachen damals über Probleme der lange Zeit eher im Verborgenen existierenden Gemeinden seiner Kirche, insbesondere über die Schwierigkeiten, die alte Russlanddeutsche in der Bundesrepublik mit evangelischen Pfarrerinnen hätten. Kretschmar berichtete ganz nüchtern über die entschiedene Ablehnung weiblicher Geistlicher und sagte dann einen Satz, den ich nie vergessen habe: "In Mitteleuropa hat sich die Ordination von Frauen zum Pfarramt ja auch nur aufgrund einer glücklichen Kombination von Heiligem Geist und Zeitgeist durchgesetzt."
Wir sprachen damals über Probleme der lange Zeit eher im Verborgenen existierenden Gemeinden seiner Kirche, insbesondere über die Schwierigkeiten, die alte Russlanddeutsche in der Bundesrepublik mit evangelischen Pfarrerinnen hätten. Kretschmar berichtete ganz nüchtern über die entschiedene Ablehnung weiblicher Geistlicher und sagte dann einen Satz, den ich nie vergessen habe: Das Wort "Zeitgeist" kann man positiv oder auch negativ verwenden, wie beispielsweise Goethe in seiner kritischen Sentenz "Was ihr den Geist der Zeiten heißt...". Bei einer historischen Betrachtung empfiehlt es sich allerdings, möglichst neutral darunter die Gegenwartsbezüge bestimmter Konzepte und Denkformen zu verstehen. Der zunächst in Hamburg und dann in München an der Universität wirkende Kirchenhistoriker und Ökumeniker Kretschmar wollte mit seinem Satz zunächst darauf hinweisen, dass bestimmte theologische Konzepte wie die inzwischen in den anglikanischen, altkatholischen und evangelischen Kirchen weitgehend selbstverständliche Ordination von Frauen zum geistlichen Amt nicht allein auf bestimmten Argumenten beruhen, die aus den Heiligen Schriften des Christentums als der höchsten normativen Quelle theologischer Aussagen abgeleitet werden, sondern auch durch Gegenwartsbezüge bestimmt sind.
Wir sprachen damals über Probleme der lange Zeit eher im Verborgenen existierenden Gemeinden seiner Kirche, insbesondere über die Schwierigkeiten, die alte Russlanddeutsche in der Bundesrepublik mit evangelischen Pfarrerinnen hätten. Kretschmar berichtete ganz nüchtern über die entschiedene Ablehnung weiblicher Geistlicher und sagte dann einen Satz, den ich nie vergessen habe: Es ging ihm aber nicht nur um die vergleichsweise triviale Beobachtung, dass sehr viele scheinbar ausschließlich auf basalen Autoritäten beruhende Argumentationen in Wahrheit auch von Gegenwartsbezügen bestimmt sind. Vielmehr vertrat er die bedenkenswerte These, dass die Kombination von beidem über Wirkungsmächtigkeit wie Wirkungslosigkeit entscheidet und es sowohl glückliche wie unglückliche Allianzen geben kann.
Vor zwei Jahren wurde in Berlin daran erinnert, dass der im Jahr 1990 verstorbene Berliner Bischof Kurt Scharf am 12. Januar 1943 die ersten beiden Frauen zum evangelischen Pfarramt ordiniert hatte. Als Präses des Bruderrates der Brandenburger Bekennenden Kirche war er zu Ordinationen berechtigt. Seinerzeit war es aber in der Bekennenden Kirche üblich, Frauen lediglich als Vikarinnen "einzusegnen", um einen Unterschied zwischen einem den Männern vorbehaltenen vollen geistlichen Amt und einem herabgestuften "Amt der Frau" deutlich zu machen. Wenn man diesen besonderen Ordinationsgottesdienst in Sachsenhausen bei Oranienburg Revue passieren lässt, wo Scharf in der Nähe dieses bei Berlin gelegenen Konzentrationslagers zugleich Gemeindepfarrer war, zeigt sich, dass die Analyse von Kretschmar zutrifft: Scharf wich deswegen vom allgemeinen Brauch einer spezifischen "Einsegnung" von Frauen ab, weil er sich auf eine ganze Reihe von Gutachten stützen konnte, in denen die Frage positiv beantwortet wurde, ob sich aus der Perspektive des Neuen Testaments etwas zur Frage einer gleichberechtigten Ordination von Frauen sagen lasse. Er wich aber sicher auch von der etablierten Praxis ab, weil in den Kriegsjahren Frauen an sehr vielen Stellen in die von den im Militär dienenden Männern verlassenen Berufe gerückt waren und sich die beiden von ihm Ordinierten als moderne, selbständige Frauen geweigert hatten, sich mit einer "Einsegnung" zufriedenzugeben. Als der spätere Bischof Otto Dibelius von Scharf verlangte, die Frauen wenigstens ohne Talar zu ordinieren, um Unterschiede zu den Männern deutlich zu machen, wiesen Hannelore Reiffen und Ilse Härter darauf hin, dass unter Kriegsbedingungen keine einem feierlichen Akt angemessenen Kleider zu beschaffen wären, und bestanden auf ihren Talaren - in denen wurden sie dann auch ordiniert.
Vor zwei Jahren wurde in Berlin daran erinnert, dass der im Jahr 1990 verstorbene Berliner Bischof Kurt Scharf am 12. Januar 1943 die ersten beiden Frauen zum evangelischen Pfarramt ordiniert hatte. Als Präses des Bruderrates der Brandenburger Bekennenden Kirche war er zu Ordinationen berechtigt. Seinerzeit war es aber in der Bekennenden Kirche üblich, Frauen lediglich als Vikarinnen "einzusegnen", um einen Unterschied zwischen einem den Männern vorbehaltenen vollen geistlichen Amt und einem herabgestuften "Amt der Frau" deutlich zu machen. Wenn man diesen besonderen Ordinationsgottesdienst in Sachsenhausen bei Oranienburg Revue passieren lässt, wo Scharf in der Nähe dieses bei Berlin gelegenen Konzentrationslagers zugleich Gemeindepfarrer war, zeigt sich, dass die Analyse von Kretschmar zutrifft: Selbstverständlich spielten bei der ersten gleichberechtigten Ordination von Frauen zum Pfarramt in Deutschland Gegenwartsbezüge eine Rolle. Ohne diese spezifischen Umstände wäre vermutlich weder noch einmal neu über den Ausschluss eines ganzen Geschlechts vom Pfarramt nachgedacht worden noch hätte ein Präses der Bekennenden Kirche den Mut gefunden, von der bisherigen Praxis so fundamental abzuweichen. Denn wenn man die damals erstellten Gutachten über die "Frauenfrage" liest, fällt auf, dass viele Stichworte fallen, die noch heute in der ökumenischen Debatte über das Thema zwischen den Kirchen verwendet werden und in den Diskussionen innerhalb von Kirchen, die die Ordination oder Weihe von Frauen ablehnen.
Die eine Seite der Gutachtenden wies in den Debatten seit 1940 darauf hin, dass nach dem Neuen Testament die Ämter eines Apostels, Missionars und Episkopen nur Männern übertragen worden seien und der Apostel Paulus Frauen die öffentliche Verkündigung untersage sowie die Unterordnung der Frau zum Maßstab mache (im ersten Korintherbrief, in den Kapiteln 11 und 14). Die andere Seite der Gutachtenden wies auf Stellen aus der antiken christlichen Literatur hin, in der Frauen sehr wohl als "Apostel" bezeichnet werden oder bestimmte Ämter wie das einer "Prophetin" wahrnehmen. Zudem betonten sie die kontextuellen Gegenwartsbezüge der paulinischen Argumentation: Die Forderung der "Unterordnung" lasse sich nur als Gegenreaktion gegen "Emanzipationsbewegungen" von Frauen (das Wort fällt schon) angemessen interpretieren. Einstmals situative Gegenbewegungen könnten aber nicht normativ genommen werden, wenn sich der Kontext vollkommen verändert habe.
Die eine Seite der Gutachtenden wies in den Debatten seit 1940 darauf hin, dass nach dem Neuen Testament die Ämter eines Apostels, Missionars und Episkopen nur Männern übertragen worden seien und der Apostel Paulus Frauen die öffentliche Verkündigung untersage sowie die Unterordnung der Frau zum Maßstab mache (im ersten Korintherbrief, in den Kapiteln 11 und 14). Die andere Seite der Gutachtenden wies auf Stellen aus der antiken christlichen Literatur hin, in der Frauen sehr wohl als "Apostel" bezeichnet werden oder bestimmte Ämter wie das einer "Prophetin" wahrnehmen. Zudem betonten sie die kontextuellen Gegenwartsbezüge der paulinischen Argumentation: Wie von Kretschmar treffend zusammengefasst, wurde in den Jahren 1940 bis 1943 also der Zusammenhang eines normativen Bezuges auf die Heilige Schrift und eines situativen Gegenwartsbezuges bedacht, aber auch so weit wie möglich in der Analyse differenziert. Beide Bezüge unterscheiden sich tatsächlich, denn christliche Theologie verbindet Heilige Schrift seit alters her mit einem Prozess der Selbstkundgabe Gottes in, mit und unter menschlichen Worten, während beim sogenannten Zeitgeist spezifische Lebens- und Denkäußerungen von Menschen einer ganz bestimmten Zeit im Vordergrund stehen. Der Versuch, diese schwer zu differenzierenden Bezüge wenigstens grundsätzlich zu unterscheiden, wurde in der Bekennenden Kirche übrigens nicht nur bei der Frage nach der gleichberechtigten Zulassung der Frauen zum geistlichen Amt gemacht. Man versuchte in dieser Weise auch in der ebenso virulenten Debatte zu differenzieren, ob die unterschiedlichen Ansichten der reformatorischen Kirchen über das Abendmahl wirklich kirchentrennenden Charakter haben müssten. In beiden Fällen war man der Ansicht, dass die Klärung der normativen Grundlagen ebenso wie eine Identifikation der jeweiligen Zeitkontexte am besten durch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit biblischen Texten nach den Regeln der Philologie sowie jener der Geschichts- und Textauslegungswissenschaften erfolgen könne.
Die eine Seite der Gutachtenden wies in den Debatten seit 1940 darauf hin, dass nach dem Neuen Testament die Ämter eines Apostels, Missionars und Episkopen nur Männern übertragen worden seien und der Apostel Paulus Frauen die öffentliche Verkündigung untersage sowie die Unterordnung der Frau zum Maßstab mache (im ersten Korintherbrief, in den Kapiteln 11 und 14). Die andere Seite der Gutachtenden wies auf Stellen aus der antiken christlichen Literatur hin, in der Frauen sehr wohl als "Apostel" bezeichnet werden oder bestimmte Ämter wie das einer "Prophetin" wahrnehmen. Zudem betonten sie die kontextuellen Gegenwartsbezüge der paulinischen Argumentation: Die Frage, wie sich der Theorie nach zeitlose normative Grundlagen zu aktuellen Gegenwartskontexten verhalten, stellt sich natürlich nicht nur in der christlichen Theologie, sondern in vielen Disziplinen wie beispielsweise den Rechtswissenschaften und selbstverständlich auch im Alltag, wie viele Probleme der gegenwärtigen Corona-Krise zeigen. Um dieses grundlegende Problem und seine vielen unterschiedlichen Lösungsversuche geht es hier aber nicht, sondern nur um ein besonders charakteristisches Beispiel, bei dem sich normative Grundlagen und aktuelle Gegenwartskontexte deutlicher als vielleicht sonst differenzieren und daher gewisse systematische Schlüsse aus den historischen Beobachtungen ziehen lassen.
Der Blick auf die Geschichte der Einführung des Pfarramtes für Frauen in den Kirchen der Reformation macht nämlich deutlich, dass tatsächlich nur in bestimmten situativen Konstellationen grundlegende normative Argumente sozialgestaltende Kraft entfalten können. Man sieht das nicht nur an den sehr zaghaften Anfängen innerhalb der evangelischen Bekennenden Kirche in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Gleiches könnte man auch an den folgenden Debatten über Frauen in geistlichen Ämtern zeigen, die im Mehrheitsprotestantismus der sechziger Jahre neu aufbrachen und bis auf den heutigen Tag beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche geführt werden: Immer geht es um einen mehr oder weniger wirkmächtigen Zusammenhang von (etwas verkürzt formuliert) Heiligem Geist und Zeitgeist.
Der Blick auf die Geschichte der Einführung des Pfarramtes für Frauen in den Kirchen der Reformation macht nämlich deutlich, dass tatsächlich nur in bestimmten situativen Konstellationen grundlegende normative Argumente sozialgestaltende Kraft entfalten können. Man sieht das nicht nur an den sehr zaghaften Anfängen innerhalb der evangelischen Bekennenden Kirche in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Gleiches könnte man auch an den folgenden Debatten über Frauen in geistlichen Ämtern zeigen, die im Mehrheitsprotestantismus der sechziger Jahre neu aufbrachen und bis auf den heutigen Tag beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche geführt werden: Aber der Zeitgeist spielt eben nicht nur eine Rolle bei der Öffnung der geistlichen Ämter für Frauen. Er war schon in der Antike am Werk, damals in dem allmählichen und Jahrhunderte dauernden Prozess der Zurückdrängung der Frauen in den christlichen Gemeinden. Die Beobachtung, dass der Zusammenhang von Heiligem Geist und Zeitgeist Gleichstellung sowohl fördern wie verhindern kann, ist schon deswegen sehr wichtig, weil sich auf den ersten Blick beim Thema reine Fortschrittsgeschichten nahelegen. Dann erhebt sich aus düsteren Anfängen eines patriarchalischen Systems nach dem Ende finsterer Perioden, durch die Sonnenstrahlen der Aufklärung wachgekitzelt, eine langsam zur Gleichberechtigung gelangende Weltreligion. Oder, wie im gegenteiligen Narrativ, eine gegenüber dieser Aufklärung resistente Kirche, die unverrückbar treu als feste Burg an ihren gottgewollten Ursprüngen festhält, vom Zeitgeist gänzlich unberührt.
Der Blick auf die Geschichte der Einführung des Pfarramtes für Frauen in den Kirchen der Reformation macht nämlich deutlich, dass tatsächlich nur in bestimmten situativen Konstellationen grundlegende normative Argumente sozialgestaltende Kraft entfalten können. Man sieht das nicht nur an den sehr zaghaften Anfängen innerhalb der evangelischen Bekennenden Kirche in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Gleiches könnte man auch an den folgenden Debatten über Frauen in geistlichen Ämtern zeigen, die im Mehrheitsprotestantismus der sechziger Jahre neu aufbrachen und bis auf den heutigen Tag beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche geführt werden: Natürlich treffen weder ein solches einliniges Fortschrittsmodell noch sein schlichtes Gegenteil, das Dekadenzmodell, die historische Wirklichkeit. Wer beispielsweise Jesus von Nazareth zum zeitlosen Heros des freien Umgangs mit Frauen stilisiert, der von beschränkten konservativen Schülern nur im konventionellen Sinne einer frauenfeindlichen Gesellschaft rezipiert wurde, vereinfacht aus naheliegenden Gründen einen differenzierten Befund. Bereits das Neue Testament bewahrt Stimmen, die - wie der Apostel Paulus - den Spielraum selbstbewusster Frauen in den Gemeinden einschränken wollen. Aber es sind auch die Stimmen derer vernehmbar, die - wie der Evangelist Lukas - vergleichsweise nüchtern festhalten, welche Rolle Frauen in der Bewegung eines galiläischen Wanderpropheten spielten.
Ungeachtet aller Differenzen gibt es eben auch gemeinsame Überlieferungen: Alle Evangelien sind sich einig, dass Maria aus dem galiläischen Städtchen Magdala am See Genezareth als erste Zeugin die Erfahrung machte, dass der Gekreuzigte lebt. Und alle Evangelien sind sich einig, dass diese Frau der vornehmsten Aufgabe, die man sich denken kann, gewürdigt wurde - sie durfte die österliche Freudenbotschaft, die die Existenz des Christentums begründet hat, als Erste einer verschreckten, größtenteils aus Männern bestehenden Gruppe verkündigen.
Ein Altarbild aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert, das heute im Provinzialmuseum der schönen Künste im spanischen Salamanca aufbewahrt wird, zeigt im Stil der Spätgotik, was das auf unsere Frage angewendet konkret bedeutet: Im rechten unteren Bildfeld des mehrteiligen Tafelgemäldes sieht man Maria Magdalena, auf einer hohen Kanzel lehrend. Der Maler lässt sie mit den Händen die Gesten machen, die in dieser Zeit jemand verwendet hätte, der in der Rhetorik der öffentlichen Rede unterwiesen worden war.
Ein Altarbild aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert, das heute im Provinzialmuseum der schönen Künste im spanischen Salamanca aufbewahrt wird, zeigt im Stil der Spätgotik, was das auf unsere Frage angewendet konkret bedeutet: Allerdings konnte im späten Mittelalter längst keine Frau mehr auf die hohe Kanzel einer Kathedrale steigen und (wie hier) vor Mitgliedern einer königlichen Familie die Osterbotschaft verkündigen. Aber die, die für das in Salamanca gezeigte Bild verantwortlich waren, porträtierten Maria Magdalena dessen ungeachtet als gelehrte Frau (sie stützt sich auf dem Mittelbild des Altargemäldes selbstbewusst auf einen Codex) und predigende Verkünderin der zentralen Botschaft der Kirche, der Verkündigung des Auferstandenen an Ostern.
Ein Altarbild aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert, das heute im Provinzialmuseum der schönen Künste im spanischen Salamanca aufbewahrt wird, zeigt im Stil der Spätgotik, was das auf unsere Frage angewendet konkret bedeutet: Natürlich hat das Motiv der predigenden Maria Magdalena ebenso wie das zeitgenössische Motiv der lesenden Maria (worauf vor Jahren schon der Bielefelder Historiker Klaus Schreiner aufmerksam gemacht hat) eindeutige Bezüge zur Veränderung des Frauenbildes in damaligen Zeiten. Aber dieses Motiv ist eben auch eine Erinnerung daran, dass das Neue Testament ein Bild vom Amt der Maria Magdalena zeichnet, das nicht zum Zeitgeist der römischen Kaiserzeit und der Spätantike passte. Damals war, von Ausnahmen abgesehen, ein öffentliches Auftreten von Frauen nicht vorgesehen - und schon gar nicht ein Auftritt als Lehrperson vor Kaisern und Königen. Eine berühmte spätantike Philosophin, die sich nicht an solche Regeln hielt, wurde nicht nur durch Gerüchte in den Schmutz gezogen, sondern von christlichen Mönchen mit Dachziegeln und Latten erschlagen. Hypatia war ihr Name.
Ein Altarbild aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert, das heute im Provinzialmuseum der schönen Künste im spanischen Salamanca aufbewahrt wird, zeigt im Stil der Spätgotik, was das auf unsere Frage angewendet konkret bedeutet: Es hat wenig Sinn, sich die Frage zu stellen, ob das Priester- oder Pfarramt, wie es sich heute in den Kirchen herausgebildet hat, von Jesus von Nazareth auch für Frauen gedacht war oder nur für Männer bestimmt war. Denn selbstverständlich war auch die Herausbildung von Ämtern in den ersten drei Jahrhunderten nicht nur vom Heiligen Geist geprägt, sondern auch zutiefst vom Zeitgeist. Neben Normen, die für zeitlos gehalten wurden, spielten auch damals ganz unmittelbare Gegenwartsbezüge eine formative Rolle für bestimmte Züge der institutionellen Gestalt des Christentums.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: In der kleinasiatischen Türkei, unweit der heutigen touristischen Sehenswürdigkeit der Sinterterrassen von Pamukkale, gab es in der römischen Kaiserzeit eine christliche Gruppe, die durch Prophetinnen geprägt war. Prophetinnen gab es auch in den großen paganen Orakelheiligtümern der Umgebung. Diese paganen Prophetinnen gaben in Trance Laute von sich, die von gebildeten Priestern in kunstvolle Hexameter gegossen wurden und Menschen bei Alltagsproblemen und komplexeren Entscheidungen Orientierung bieten sollten, beispielsweise über die Frage, ob man mit dem Bau eines Theaters beginnen könne oder lieber auf günstigere Umstände warten sollte.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: Auch von den christlichen Prophetinnen sind solche Sprüche überliefert, die aber nach Form und Inhalt nicht an die kunstvollen paganen Texte erinnern, sondern an prophetische Sprüche der hebräischen Bibel. Die Gegner nannten diese christliche Gruppe nach dem einzigen männlichen Mitglied, dem Rechtsanwalt Montanus, "die Montanisten". Sie selbst nannten sich "die neue Prophetie". Vieles spricht dafür, dass diese Prophetinnen sich wie auch andere Kirchen auf Männer aus der Umgebung Jesu von Nazareth beriefen, nämlich den Apostel Philippus und seine gleichfalls als Prophetinnen tätigen Töchter. Zudem bezogen sie sich darauf, dass Christus, als Personifikation der im Alten Testament erwähnten und weiblich personifizierten Weisheit Gottes, diese göttliche Weisheit in den Mund bestimmter weiblicher Prophetinnen gelegt habe, und legitimierten so ihre spezifische Verkündigungspraxis.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: Wahrscheinlich war die radikale Ablehnung weiblicher Amtsträger im kleinasiatischen Mehrheitschristentum des zweiten und dritten Jahrhunderts ein Stück weit schroffe Gegenreaktion gegen diese Praxis eines weiblichen Amtes, wurde es zudem durch selbstbewusste Frauen ausgeübt. Man könnte auch pointiert davon sprechen, dass in der Reaktion gegen diese Praxis von Prophetinnen, die durch Apostel als unmittelbare Gefährten Jesu legitimiert war, mehr Zeitgeist als Heiliger Geist zu beobachten ist.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: Dieser Eindruck legt sich jedenfalls dann nahe, wenn man in einer christlichen Kirche über schwierigen Fragen zunächst geduldige Diskussion darüber erwartet, was der Heilige Geist in einer bestimmten Situation wohl durch die Heiligen Schriften sagen wolle.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: Gelegentlich hört man den Einwand, dass es kaum sinnvoll sei, später marginalisierte Traditionen von Sondergemeinschaften wie die Traditionen der "neuen Prophetie" gegen die gemeinschaftlich nostrifizierten Entwicklungen der großen christlichen Kirchen in Stellung zu bringen. Wer darauf hinweist, dass der Römerbrief des Paulus eine Christin namens Junia bezeugt, die als "Apostel" bezeichnet wird, aber im Rahmen einer jahrhundertelangen Auslegungsgeschichte immer mehr zu einem Mann mutiert, wird gern darauf verwiesen, dass der Titel Apostel in der Geschichte des Christentums recht schnell weitestgehend für Männer reserviert wurde. Aber solchen Argumenten liegt natürlich wieder ein relativ schlichtes Modell zugrunde, wonach eine ursprüngliche Vielheit allmählich auf eine kleinere Einheit reduziert wurde und also an die Stelle der bunten Reihe von Ämtern und Diensten während der ersten Jahrzehnte des antiken Christentums am Ende ein einziges dreigliedriges Amt von Priester, Diakon und Bischof trat, in dem für Frauen keinerlei Platz mehr vorgesehen war.
Ein Beispiel aus vielen soll dieses deutlich machen: Aber man muss sich nur eine Äbtissin eines mittelalterlichen Frauenklosters vor Augen halten, die wie ein Bischof mit Handauflegung und konsekratorischem Weihegebet in ihr Amt gebracht wurde und einen kostbaren goldenen Krummstab in die Hand gelegt bekam. Selbst die Mitra war an einigen Orten nicht nur den männlichen Äbten vorbehalten. Die Zeremonie der Weihe der Äbtissin hieß übrigens oft lateinisch ordinatio - mit demselben Terminus wurde auch das nur Männern vorbehaltene Sakrament der Weihe bezeichnet.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Gelegentlich förderte er in der Geschichte des Christentums die Gleichstellung der Frauen, wie das Beispiel des geistlichen Amtes zeigt, gelegentlich verhinderte er Gleichstellung oder beendete solche Tendenzen. Anders formuliert: Je nach Region und zeitlichem Kontext lassen sich unterschiedliche Tendenzen beobachten, welche Elemente der normativen Grundlagen durch den Zeitgeist verstärkt werden und sozialgestaltende Kräfte hervorbringen helfen.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Geschichte - und natürlich auch die Geschichte der Kirche - lässt sich nicht mit simplen Modellen von Fortschritt und Rückschritt, Aufstieg und Verfall rekonstruieren. Die oft nur schwer differenzierbare Melange aus grundlegenden Normen, die der Theorie nach zeitlos sein sollen, und ihre Diskussion in bestimmten Gegenwartskontexten taugt nicht für die argumentative Auseinandersetzung zwischen christlichen Kirchen, die die Frauenordination im Laufe der Geschichte eingeführt haben, und solchen, die glauben, sie ablehnen zu müssen.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Es wäre naiv zu glauben, dass die Beobachtung, dass auch die Verdrängung von Frauen aus geistlichen Ämtern sich einer Kombination von Heiligem Geist und Zeitgeist verdankt, die Kritiker der Frauenordination unter Bischöfen und Theologen überzeugen wird. Denn dann würde ja nur Streit darüber ausbrechen, welche Kombination von Heiligem Geist und Zeitgeist "glücklich" und welche entsprechend "unglücklich" zu nennen wäre.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Mir scheint aber, dass sich gerade angesichts der gegenwärtigen Weltlage auch die Debattenlage gegenüber der Mitte des vergangenen Jahrhunderts verschoben hat. Wenn sich die Verdrängung der Frau aus geistlichen Ämtern dem Zeitgeist verdankt (ebenso wie ihre gleichberechtigte Zulassung), dann steht das Argument auf tönernen Füßen, Frauenordination sei oder wäre lediglich eine Konzession an den Zeitgeist.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Es wäre für das ökumenische Miteinander der christlichen Kirchen - und damit für das christliche Zeugnis in der Welt - schon viel gewonnen, wenn man die Praxis, Frauen auf Kanzeln und an Altäre treten zu lassen, nicht nur als Teil der einen Geschichte der Christenheit, sondern ihrer gemeinsamen Gegenwart anerkennen würde. Sich so in versöhnter Verschiedenheit gelten zu lassen, wäre ein schönes Projekt für das geordnete Miteinander der christlichen Kirchen in den kommenden Jahren.
Wenn man sich an solche, den Krummstab tragende Frauen in geistlichen Ämtern erinnert, die wie ihre männlichen Kollegen im Heiligen Römischen Reich teilweise als Reichsfürsten auch politisch äußerst selbstbewusst agierten, dann wird noch einmal deutlich, dass der Zeitgeist durchaus ein sehr wandelbarer Geist ist: Der Verfasser lehrt Geschichte des antiken Christentums in Berlin und ist designierter Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.